Warten, dass der Saal sich wieder füllt: Tanzvereinsvorsitzende Franziska Meuser · Foto: Andreas Stedtler
Wie die Pandemie Vereinen schadet und wie sie dem Lockdown trotzen: Normalität simulieren, Online-Training anbieten und endlichmal gründlich aufräumen. Ein Besuch im Tanzstudio und auf dem Rasen
VON ALEXANDER SCHIERHOLZ
Es ist, als hätte jemand die Stopptaste gedrückt. Die Stille liegt schwer in dem Saal mit seinen Säulen und der Spiegelwand. Seit Wochen bewegt sich hier nichts mehr. Kein Seniorentanz. Kein Kinderballett. Die einzigen, die tanzen, sind die Staubteilchen in der Sonne, die durch die große Fensterfront fällt. Im Nebenraum stapeln sich türkisfarbene Turn-matten in einem Regal, als würden sie jetzt sofort gebraucht.
Werden sie aber nicht. Halle, Innenstadt, Große Ulrichstraße, Tanzstudio Peri. Zwei Säle nutzt der Tanzverein hier, 120 und hundert Quadratmeter groß. Genügend Raum für Ballett, Breakdance, zeitgenössischen Tanz und anderes, was der Tanzsport so zu bieten hat. Genügend Raum für Kurse täglich von 15 bis 20.30 Uhr, manchmal schon früher. So sah der Stundenplan vor der Pandemie aus. Vereinschefin Franziska Meuser führt durch die verwaisten Räume, deutet auf leere Stühle.„Hier ist der Elternbereich.“ Gera-de ohne Eltern.
Wie alle Lebensbereiche, hat das Virus auch den Freizeitsport total ausgebremst. Die Vereine klagen über ausbleibende Neumitglieder, manche über Austritte. Sport, das ist auch Tanzen. Und fürs Tanzen ist die Pandemie ganz schlecht. „Tanzen ist Körperkontakt, ist Anfassen“, sagt Berd Bunk, Co-Vorsitzender im Studio Peri, im Brotberuf Inspizient am halleschen Opernhaus. „Beim Ballett zum Beispiel müssen die Trainerinnen ja auch mal Hilfestellung leisten.“ Am Menschen. Direkt. Alles gerade nicht möglich.
Einfach in die Halle?
Geht nicht Die Tanzvereine haben aber noch ein anderes Problem, sagt Oliver Thiel, Chef des Stadtsportbundes in Halle. „Sie können nicht einfach auf die städtischen Sporthallen zurückgreifen.“ Dort müsse für die stundenweise Nutzung nicht be-zahlt werden. Vereine wie das Tanzstudio Peri aber haben spezielle Bedürfnisse, für die sie eigene Räume brauchen – das kostet Geld. Das betreffe zum Beispiel auch Kampfsport- oder einige Rehavereine, sagt Thiel.
Weich wie Elefantenhaut
„Eine Turnhalle kommt für uns nicht in Frage, wir mussten uns selbst etwas suchen“, bekräftigt Meuser. „Wir brauchen einen speziellen Tanzboden und Spiegel.“ In normalen Sporthallen gebe es das nicht. Die Böden von Meusers Studios sehen aus wie aus Gummi, schwarz oder grau. Sie geben leicht nach, federn. Das liegt an einer weichen Schicht unter der Auflage, Elefantenhaut sagen sie dazu. In einer Sporthalle, in der Hand-oder Floorball gespielt wird, undenkbar. In jedem der Säle ist zu-dem eine Wand verspiegelt. „Die Tänzerinnen und Tänzer müssen sich selber sehen können“, erklärt Meuser, „dann können sie sich auch selber korrigieren.“
Die Mietverträge für die beiden Säle des Studios Peri laufen auch während des Lockdowns weiter. 3.000 Euro im Monat sind für die Räume fällig. „Für die Lage mitten in der Innenstadt ist das eigentlich super“, sagt die Vorständin. Aber: Insgesamt fünf Monate mussten sie seit dem vergangenen Frühjahr dicht machen. „Macht 15.000 Euro, die wir in den Wind geschossen haben.“
Staatliche Hilfen haben sie bis-her nicht in Anspruch genommen. Allein die Prüfung durch ein Steuerbüro, ob sie als Verein Anspruch auf Überbrückungsgelder hätten, hätte mehrere hundert Euro gekostet. „Geld, das wir gerade nicht haben“, sagt Meuser. Klar sei zudem gewesen: Die Mitgliedsbeiträge wären auf die Hilfen angerechnet worden. „Aber das ist Geld, das wir dringend brauchen, um überhaupt über die Runden zu kommen.“ Zwischenzeitlich hatten sie die Beiträge halbiert – eine Geste an die Mitglieder. „Aber jetzt ist das nicht mehr drin“, bedauert Meuser. Ein Hilfsfonds des Landesinnenministeriums für Vereine? „Davon haben wir nichts gewusst“, sagt Co-Vorstand Berd Bunk.
Fehlen Mitglieder, fehlt auch Geld
Pandemiebedingt bangen Sachsen-Anhalts Sportvereine um ihre Mitglieder und damit um finanzielle Mittel. Nach An-gaben des Landessportbundes (LSB), der mehr als 3.000 Vereine im Land mit fast 360.000 Aktiven vertritt, haben im vergangenen Jahr knapp drei Prozent der Mitglieder ihren Vereinen den Rücken gekehrt. Das ist zwar weniger als befürchtet, dennoch sorgt sich der Verband, dass die Pandemie den Sport nachhaltig schädige. „Seit März 2020 ist kein regulärer Trainings- und Wettkampfbetrieb möglich“, sagte LSB-Vorstandschef Tobias Knoch unlängst der MZ. Je länger dieser Zustand anhalte, umso schwieriger werde es auch, die zumeist ehrenamtlichen Strukturen für die Zeit nach Corona am Leben zu er-halten.
Der Mitgliederschwund fällt allerdings regional unterschiedlich aus. So verzeichnet etwa der Stadtsportbund Halle rund fünf Prozent Rückgang. Problematischer ist es nach An-gaben des Verbandes aber, dass Neueintritte komplett ausblieben. Es fehle vor allem der Nachwuchs. In der Regel seien 50 Prozent der Mädchen im Alter zwischen sieben und 14 Jahren Mitglied eines Sportvereins, bei den Jungen seien es 70 Prozent. Im vorigen Jahr sei ein kompletter Jahrgang an Kindern nicht eingetreten. Mit den Mitgliedern bleiben auch Beiträge aus, mit denen die Vereine einen großen Teil ihrer Arbeit finanzieren.
Das Landesinnenministerium hat im vergangen Jahr Corona-Hilfen in Höhe von einer Million Euro für Sportvereine bereitgestellt. Laut Ministerium haben 56 Vereine allerdings nur rund 580.000 Euro abgerufen, weitere Anträge seien nicht eingegangen. Der Landessportbund führt das auf ein aus seiner Sicht kompliziertes Verfahren zurück. So sei eine drohende Insolvenz eine Zugangsvoraussetzung gewesen. Das Land und der LSB verhandeln nun darüber, die restlichen Mittel in diesem Jahr zur Verfügung zu stellen. Andreas Silbersack, Präsident des USV Halle, fordert vom Land eine pauschale Corona-Förderung nach Vereinsgröße. Gerade kleinere Vereine seien damit überfordert, Förderanträge auszufüllen.
Mittlerweile haben 80 von 385 Mitgliedern dem Verein den Rücken gekehrt. Drei Gruppen haben sich aufgelöst. Und nun? Das Studio Peri versucht es online, wie so viele. Und siehe da, es geht erstaunlich viel. Zurzeit bieten sie Kinderkurse per Video an. Franziska Meuser steht im Saal vor der Spiegelwand und breitet die Arme aus. „Hier haben wir natürlich Platz für große Choreographien.“ Im Wohnzimmer, wo die Kinder jetzt tanzen, ist das anders. „Wir mussten uns neue kleinere Choreographien ausdenken.“ Mit Erfolg. Woche für Woche kämen mehr Kinder dazu, vier bis fünf Kurse täglich stehen mittlerweile auf dem Plan.
Was Meuser sich wünscht für die Zukunft? „Dass wir alle da durchkommen“, sagt sie, „alle Sportler, alle Vereine. Dass die Leichtigkeit zurückkommt.“
Als würde es morgen losgehen Jan Meusel wünscht sich vor allem eine Perspektive. „Die Profisportler können trainieren und Wett-kämpfe bestreiten. Aber auch der Amateursport darf nicht vergessen werden.“ Es ist Meusels Klientel. Er ist Geschäftsführer von Sachsen-Anhalts größtem Breitensportverein. Der Universitätssportverein Halle (USV) zählt mehr als 3.000 Mitglieder in 22 Sektionen, von American Football über Hockey bis zu Volleyball.
Der Verein hat ein Trainingsgelände im Norden Halles – ein Sportlerheim mit Geschäftsstelle, zwei Beachvolleyballplätze, eine Weitsprunggrube, eine Laufbahn, ein Sportplatz. Dort steht Meusel an einem sonnigen Vormittag gemeinsam mit Dmitry Radkevich, Platzwart und Hausmeister. Meusel lässt den Blick über den Platz schweifen. „Wir müssen den Rasen vorbereiten“, sagt er. Das letzte Laub müsse entfernt und es müsse gedüngt werden. So, als würde es morgen wieder losgehen.
„Wir stehen in den Startlöchern“, sagt der Geschäftsführer,„wir warten nur auf eine Ansage aus der Politik.“ Radkevich, schwarze Arbeitshose, grünes USV-Shirt, nickt. Während des Lockdowns habe er nicht weniger zu tun gehabt als sonst, erzählt er, eher mehr. Rasen mähen. Erst das Laub. Dann der Schnee. Und das Sportgerätelager hat er aufgeräumt, Inventur gemacht, Reparaturen vorgenommen, wo nötig. „Im Trainingsbetrieb kommt man dazu kaum“, sagt Meusel, „es wird ja ständig alles genutzt.“
Beim USV planen sie schon seit Wochen die neue Wettkampf-Saison, sagt der Geschäftsführer, immer in der Hoffnung, dass es die auch tatsächlich geben wird. Es ist eine Art Simulation einer Normalität vor der Pandemie. Nach dem ersten Lockdown hat Meusel mehr als 50 Hygienekonzepte geschrieben, die dann ständig an neue Coronaregeln angepasst werden mussten. „Jede Sportart ist anders“, sagt er, „und jede Halle, in der unsere Mitglieder sind, auch.“ Da komme man mit einem Konzept für alles nicht hin. „Das war anstrengend, aber es hat uns die Rückkehr in den Trainings- und Wettkampfbetrieb ermöglicht.“
Dann kam Lockdown Nummer zwei. Meusel weiß, wenn erst wieder gelockert wird, wird er wieder Hygienekonzepte schreiben müssen: „Aber das haben wir einmal geschafft. Das werden wir auch noch einmal schaffen.“ Er hofft, dass es bald soweit ist: „Jedesmal, wenn von Lockerungen die Rede ist, bekommen wir Anrufe von Mitgliedern: Wann geht es wieder los?“ Er ist froh, dass die meisten dem Verein die Treue gehalten haben. „Die USV-Familie hält zusammen.“ Die Zahl der Austritte hat sich nach den Worten von Vereinspräsident Andreas Silbersack bis-her in Grenzen gehalten.
Die Bälle warten schon
Im Vereinsheim schaut Dmitry Radkevich derweil nach dem Rechten. Auch hier hat er penibel aufgeräumt. In einem Sportraum, Sprossenwand an der Stirnseite, liegen Matten und Medizinbälle auf Regalbrettern. In einer Ecke warten zwei volle Ballwagen auf ihren Einsatz. Als würden gleich ein paar Sportler zur Tür herein-kommen. Radkevich wirkt zufrieden, er schließt wieder ab. Auch hier bewegt sich nur der Staub im Sonnenlicht.
Wir danken der Mediengruppe Mitteldeutsche Zeitung GmbH & Co.KG für die Freigabe des Artikel!
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